Die Mandelkern-Kolumne / Folge 5

Loben und loben lassen

Ihr Ansprechpartner: Karl-Heinz Schulz Karl-Heinz Schulz

Manche Management-Themen sind offenbar Evergreens. Das jedenfalls war der Eindruck von Karl-Heinz Schulz, als er kürzlich im Archiv kramte und auf seine mehr als 10 Jahre alten Kolumnen stieß. Also holen wir sie wieder hervor und präsentieren sie auf’s Neue. Den Anfang macht: „Loben und loben lassen“. Viel Spaß. (Und sparen Sie nicht mit Lob).

Wo man zum Lachen in den Keller geht, herrscht auch der Grundsatz: Net g’schempft isch g’lobt genug. Vermutlich ist es kein Zufall, dass diese Maxime bevorzugt in schwäbischer Mundart überliefert wird. Gilt doch dieser Volksstamm als Inbegriff von Sparsamkeit und Geschäftssinn. Den inneren Zusammenhang bildet wohl die unterstellte Befürchtung, kecke Gehaltsforderungen unbillig zu ermuntern: Wer lobt, zahlt demnach leicht zuviel. Nun mehren sich die Stimmen, die eher das Gegenteil behaupten. Sie stützen sich auf neuere Studien, in denen Beschäftigte sich mal besser, mal schlechter bezahlt, aber immer zu wenig gelobt fühlen. Nach Anerkennung und Sinn, folgern pfiffige Kolumnisten daraus, stehe modernen Arbeitnehmern derselbe. Der Wunsch nach mehr Geld spiele dagegen bestenfalls eine untergeordnete Rolle, setzen sie mit erkennbarem Hintersinn hinzu und hoffen, maulfaulen Vorgesetzten so den Zuspruch schmackhaft zu machen: Wer lobt, muss eher weniger zahlen.

Der geneigte Leser ahnt bereits, dass ich beides falsch finde. Lob und Entlohnung entstammen ganz verschiedenen Regelkreisen. Zwar sind diese eng verbunden. Sie miteinander kurzzuschließen, geht jedoch meistens schief. Lob und Tadel sind zunächst einmal essentiell für jede gemeinschaftliche Tätigkeit. Nur sie lassen uns Lernkurven fahren und exzellente Ergebnisse erzielen. Das weiß man spätestens, seit die Psychologen einen Schlüsselbegriff der Kybernetik, die Rückkopplung, in die allgegenwärtige ‚Rückmeldung’ transformiert und damit für die menschliche Kommunikation erschlossen haben.

Wachsen und dazu gehören

Wie immer geht es aber nicht nur um die Inhalts-, sondern auch um die Beziehungsebene. Auf dieser ist Lob wichtiger als Kritik. Denn Lob ist die klarste Form der Anerkennung, und über Anerkennung erfahren wir, dass wir dazu gehören. Damit realisieren wir ein Grundbedürfnis, dessen Bedeutung man gar nicht überschätzen kann. „Was sind unsere größten Bedürfnisse?“, fragt der Gehirnforscher Gerald Hüther gerne seine Zuhörer und gibt selbst die Antwort: „Wachsen und dazugehören.“ Sein Kollege Joachim Bauer deutet aus diesem Geiste die menschliche Aggression. Anders als Konrad Lorenz, dessen Theorie Bauer für baren Unfug hält, erklärt er dieses Phänomen nicht aus einem Trieb, sondern aus dem Schmerz, den wir erleiden, wenn wir ausgegrenzt werden. Das ist auch der Grund, warum kluge Pädagogen bei jedem ihrer Schützlinge immer viel mehr zu loben als zu kritisieren finden. Sie schaffen damit einen Regelkreis aus Zugehörigkeit, Vertrauen, Selbstvertrauen und Sicherheit, die von der Beziehungs- auf die Sachebene überspringen und gute Leistungen begünstigen. Nebenbei bemerkt liegt darin ein wichtiger Unterschied zwischen Rückkopplung und Rückmeldung. Während in der Ingenieurstechnik, in der Natur und auch im menschlichen Körper negative Rückkopplungen für Gleichgewichtszustände sorgen, positive dagegen für gefährliche Eskalationen, gilt das für Rückmeldungen so nicht. Wenn sie gutes und vernünftiges Verhalten positiv verstärken, können sie höchst wünschenswerte Eskalationen erzeugen: den Einstieg in eine Spirale des Erfolgs.

Anreize

Mit der Entlohnung verhält es sich ähnlich, aber anders. Auf der Inhaltsebene geht es um eine ökonomische Gleichung, deren Terme – sehr vereinfacht und etwas idealtypisch gesagt - der Arbeitsmarkt regelt. Es ist das Bein, mit dem die Ökonomie in den Naturwissenschaften steht. Zugleich gibt es auch hier eine Beziehungsebene, und wer übersieht, dass die Ökonomie mit dem anderen Bein in den Sozialwissenschaften steht und etwa nur das zahlt, was er unbedingt zahlen muss, beschädigt Beziehungen und damit Motivation. Wir betreten hier das weite und höchst umstrittene Feld der Anreize. Die einen schwören auf materielle Formen, die berühmt-berüchtigten Incentives, und müssen sich von Motivationsgurus sagen lassen, dass sie damit ihre besten Kräfte korrumpierten. Die anderen setzen auf moralische Mittel („give him no money, give him a title“) und stehen notorisch im Verdacht, gute Leute damit besonders clever auszuschmieren.

Niemand, der für Vergütungssysteme Verantwortung trägt, kann sich solchen Erörterungen entziehen. Denn wie immer die Systeme gestaltet sein mögen, sie schaffen Anreize. Für unser heutiges Thema genügt der folgende Gedanke: Der Stoff für Boni kommt immer (zumindest galt dies bis zum Aufstieg des Investmentbankings) aus Mehrleistungen, einer Produktivität, die über dem Marktdurchschnitt liegt. Es ist ein Gebot der Fairness, alle, die sie erwirtschaftet haben, auch daran zu beteiligen. Fairness ist nur ein anderes Wort für Wertschätzung. Und die zeigt sich nicht nur in Lob und Kritik, sondern auch im Gehalt.

Bleibt die Frage, woher das chronische Lob-Defizit deutscher Beschäftigten kommt und wie man es beheben könnte. Mir scheint es wenig wahrscheinlich, dass es etwas mit Geld zu tun hat: In der Regel dürfte zwischen Lohn und Leistung ein enger Zusammenhang bestehen. Genau den aber gibt es, wenn die Studien stimmen, zwischen Leistung und Lob oft nicht.

Führer und Geführte

Wie kann das sein? Kennen wir doch die kybernetischen Regeln der Erfolgsspirale schon so lange: success breeds success. Diese Formel funktioniert aber nur, wenn wir Erfolg als solchen erkennen, benennen und dann auch zuweisen und feiern. Seit Jahrzehnten pilgern nun schon die Führungsphilosophen und Managementtrainer durch die Lande, nicht schlecht entlohnt für ihre vielen Vorträge – und predigen doch nur tauben Ohren? Etwas stimmt da nicht. Merkwürdigerweise kenne ich bislang nur Studien, in denen Beschäftigte gefragt werden: „Fühlen Sie sich genügend gelobt?“ Keine dieser Studien kehrt den Blickwinkel um: „Haben Sie den Eindruck, dass Sie selbst genügend loben?“ Und erst recht keine interessiert sich für die Frage, ob sich eigentlich die Führungskräfte ausreichend von ihren Mitarbeitern gelobt fühlen. Die Einbahnstraße in den Köpfen der Sozialforscher ist vermutlich nicht die einzige. Auch in den Köpfen der Mitarbeiter ist das Führungsverständnis nach meinem Eindruck noch sehr oft transitiv: Ich werde geführt, also habe ich Anspruch auf Lob. Ich werde geführt, also lobe ich nicht. Dass ich auch als „Geführte“ und „Geführter“ führen kann, ist immer noch Minderheitenmeinung und vor allem –praxis. Sachökonomisch gesehen bilden Beschäftigte ein Kollektiv und Führungskräfte ein anderes. Führungskräfte haben rückzumelden, weil und soweit es der Sache dient. Geführte haben nicht rückzumelden, weil es im Falle von Kritik gefährlich und im Falle von Lob anbiedernd wäre. Keiner will ein Schleimer sein. So stehen die Dinge, und so stehen sie schon ziemlich lange. Aber war da nicht was mit dem Resonanzprinzip? Die Welt, besagt es, zeigt sich uns vornehmlich so, wie wir sie sehen. Beziehungsökonomisch könnten die Beschäftigten es doch einmal damit versuchen: Wenn ich mehr gelobt werden will, muss ich es erst einmal selber tun.

März 2011

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