Die Mandelkern-Kolumne / Folge 4

Fehler! Fehler?

Ihr Ansprechpartner: Karl-Heinz Schulz Karl-Heinz Schulz

Sie bleiben die leidigen Dornen im Gewand der Selbstoptimierer. Wie Ernst Jandl dichtete: „There’s a Riss in the flag, let’s nähen.“ Nähen wir also – und schauen, ob man auch mit geflickten Klamotten herumlaufen kann.

Shit happens. Herrlich die Parabel von Robert Zemeckis und Eric Roth über die Entstehung dieser Weisheit. Auf Forrest Gumps langem Lauf durch die Staaten gesellt sich für kurze Zeit ein junger Mann zu ihm, der sich eine Idee für einen Aufkleber erhofft. Abgelenkt von dessen Suada tritt unser heiliger Tor in einen großen Haufen, läuft aber ungerührt weiter. Der junge Mann, etwas außer Atem: „Hören Sie, Sie sind da gerade…“ Forrest, gleichmütig: „So was kommt vor.“ Der junge Mann: „Wollen Sie damit sagen: shit happens?“ In der nächsten Einstellung sehen wir, wie ein Pick-Up an einer Kreuzung in einen anderen Wagen rauscht, auf der Heckklappe den Aufkleber mit dem berühmt gewordenen Zwei-Wort-Satz. Und damit ist fast schon alles gesagt, was man über Fehler wissen muss. Fast.

Fehler passieren, ob wir wollen oder nicht. Noch so viele Null-Fehler-Strategien ändern nichts daran. Besser also, wir lernen sie lieben. Zugegeben: Kein leichter Gedanke für ein westliches Hirn. Deshalb ernte ich immer Widerspruch, wenn ich die Nützlichkeit von Fehlern propagiere. Das Standardargument meiner Opponenten geht so: „Spätestens wenn ich in ein Flugzeug steige, bin ich froh, dass die Airlines nicht so denken wie Sie, Herr Schulz.“ Meine Standarderwiderung lautet: „Sind Sie sicher?“ Fraglos erlauben diese Wunderwerke eine fast genau so verlässliche wie schnelle Form der Fortbewegung, was einem freilich wenig hilft, wenn man in einem abstürzenden sitzt. Dass dies heute, statistisch gesehen, vergleichsweise selten geschieht, hat vermutlich viele Gründe. Der wichtigste: Es ist in der langen Geschichte der Luftfahrt eben doch schon recht häufig vorgekommen. Und weil das jedes Mal so verheerend ist und auch ganz schlecht fürs Geschäft, ruht das System nicht, bis es die Quellen kennt und sie versiegeln kann. Das ist das Nächste, was man über Fehler wissen muss: So sie denn schon geschehen, sollten wir wenigstens daraus lernen. Noch besser ist es freilich, wenn man die Lehren schon zieht, bevor ein Fehler überhaupt geschehen ist. Das ist das Prinzip der Fehlerfreundlichkeit. Ernst Ulrich von Weizsäcker hat darüber zusammen mit anderen ein sehr überzeugendes Buch geschrieben. Die Grundidee: Es ist ratsam, immer mit Reserven zu operieren, also - um im Beispiel zu bleiben - mit mehr als einem Triebwerk zu fliegen.

Oft sind es gerade die kleinen Unglücke, die sich als großes Glück erweisen. Wir alle kennen solche Geschichten. Eine der schönsten sah ich als Kind in einer französischen Fernsehserie. Sie spielt, schwarz-weiß, in den Wirren der Revolution. Ihr Held, ein junger Royalist, hat sich der Rettung seiner Königin verschrieben und ist ständig auf der Flucht. Einmal stürzt er, von Jakobinern gejagt, in eine Großküche. Auf ihrem Herd ein riesiger dampfender Kessel, darüber neben allerlei Gerät, Bündeln von Knoblauch und Zwiebeln auch ein bauchiger Schlauch aus Ziegenleder. Eine Kugel, für unseren Konterrevolutionär bestimmt, verirrt sich und schlägt in den Sack. Heraus schießt ein Strahl und ergießt sich in den Kessel. Entsetzter Aufschrei des Kochs, den schon die wilde Verfolgungsjagd nicht kalt gelassen hat, noch mehr klagendes Händeringen: Das Essen für eine ganze feine Gesellschaft ist verdorben. Aber er ist zu sehr Koch, um nicht wenigstens einmal zu kosten - und staunt – und kostet noch einmal – und strahlt. Der wunderbare coq au vin ist in der Welt.

Erleuchtung im Kirchenchor

Während Forrest Gumps Mitläufer - offenbar ein geborener Dialektiker – im Shit das Gold zu sehen vermochte, verdanken wir die kulinarische Schöpfung der Bereitschaft des Maitre, in dem Neuen, das Fehler erzeugen können, eben dieses zu entdecken. Hierhin gehört auch die Geschichte von Spencer Silver, die in keiner Abhandlung über Innovationen fehlt. 1968 hatte er versucht, einen Super-Klebstoff zu entwickeln. Heraus kam ein mickriges Etwas, das ein bisschen klebte. Statt es zu entsorgen, berief er eine Konferenz von Wissenschaftlern ein und stellte ihnen die Frage: Wozu könnte das gut sein? Sechs Jahre später hatte einer der Teilnehmer die zündende Idee. Wie jede Woche sang Arthur Fry im Kirchenchor, wieder einmal fiel ihm eines seiner Lesezeichen aus dem Gesangbuch auf den Boden. Es dauerte weitere sechs Jahre, bis alle technischen und mentalen Widerstände überwunden waren und die Post-its ihren milliardenschweren Siegeszug um die Welt antreten konnten. Die Standardmethode von Versuch und Irrtum erfuhr hier eine interessante Abwandlung. „Könnten wir womöglich“, muss sich Silver gedacht haben, „Irrtum umdeuten in Nicht-Irrtum?“ Auch Sir Alexander Fleming gelang mit seiner verschimmelten Bakterienkultur dieser geniale Kunstgriff. Andere wie der Flugpionier Otto Lilienthal mussten hingegen viele schmerzhafte Fehlschläge hinnehmen. Wir kennen das Ergebnis. Mit den Unglücken verhält es sich also wie mit den Fehlern überhaupt: Je kleiner, desto leichter lassen sie sich lieben; denn sie können helfen, große zu vermeiden. In diesem Sinne kann man Flugzeugabstürze und andere Katastrophen auch verstehen als eine besonders teure, weil desaströse Form des Lernens.

Dieselben und die gleichen Fehler

Kommen wir nun zum mühsamen Teil dieser Betrachtung. Vor etlichen Jahren hatte ich Gelegenheit, der Sitzung eines recht exklusiven Manager-Zirkels beizuwohnen. Drei Schwergewichte erläuterten ihre Führungsprinzipien. Unvermeidlich die Frage: wie halten Sie es mit Fehlern? Die Reihe kam an den Vorstand eines großen Stahlkonzerns. Schelmisch spitzte er das Mündchen, hielt noch einmal inne, um die Spannung zu steigern – und dann war es heraus: „Bei mir darf jeder Fehler machen, aber keiner zweimal denselben.“ Beifall heischend schaute er in die Runde, als hätte er soeben den Stein der Weisen entdeckt. Und wirklich gab es ringsum zustimmendes Kopfnicken und Gemurmel. Mir dagegen lief ein kalter Schauer den Rücken hinunter, und einmal mehr war ich froh, weder diesem noch anderen Managern als Angestellter ausgeliefert zu sein.

Augenscheinlich ist diese Führungsmaxime weit verbreitet, aber die Auffassung von Fehlern, die ihr zugrunde liegt, ist unerhört trivial, ja fast schon eine Tautologie. Kein Kind fasst zweimal auf dieselbe heiße Herdplatte. Aber wir alle machen nicht nur Fehler, wir haben auch welche. Manche nennen es Charakterfehler, andere sprechen von Schwächen. Jedenfalls sind die Fehler, die ihrerseits daraus entspringen, nicht vom schlichten Typus Herdplatte, leicht zu beheben durch Erfahrungslernen. Denn sie sind wie ihre Quelle (z.B. Übererregbarkeit) hart in unseren Verhaltensstrukturen programmiert und kommen deshalb immer wieder vor (z.B. vorschnelle Urteile). So machen wir zwar fast nie denselben Fehler, aber sehr oft die gleichen. Und diese können auch im Arbeitsleben vielfältige Frustrationen bewirken, schwärende Konflikte, Missverständnisse und schließlich Fehler, immer wieder Fehler. Wer das nicht will, der muss bei sich selbst beginnen. Denn solche Themen, weil sie weniger mit Sachen als mit Menschen und ihren Eigenheiten zu tun haben, sind empfindlich, und deshalb meiden Führungskräfte sie gerne. Stattdessen ziehen sie sich, wie unser Stahlmanager, auf eine vermeintlich reine Sachorientierung zurück. Mit gutem Beispiel voranzugehen, vermittelt dagegen die Kraft und die Legitimation, auch bei anderen Schwächen anzusprechen und sie bei deren Bearbeitung zu unterstützen. Das ist das Dritte, das man über Fehler wissen muss: Wer sie nutzen will, spricht darüber. Hiermit geschehen.

Februar 2011

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