Die Mandelkern-Kolumne / Folge 2

Über Nicht-Kommunizieren

Ihr Ansprechpartner: Karl-Heinz Schulz Karl-Heinz Schulz

Um die Behauptung, dass man nicht nicht kommunizieren kann, ist es in letzter Zeit etwas stiller geworden. Doch wird sie immer noch gerne hervorgeholt, wenn etwas Kluges über Kommunikation gesagt werden soll. Vermeintlich. Das Gegenteil ist richtig. Und gerade, wenn man wie ich Angst vor Shitstorms hat, ist es wichtig, sich klarzumachen: Kommunikationsverweigerung bleibt möglich.

Der Psychotherapeut und Autor Paul Watzlawick hat viel Nützliches über Kommunikation geschrieben. Sein bekanntester Satz: „Man kann nicht nicht kommunizieren“ gehört nicht dazu. Das Lieblingszitat vieler Journalisten, Coaches, Buchautoren, Kommunikationsberater und Therapeuten erfreut sich zwar ungebrochener Popularität. Doch so wegweisend das Buch „Menschliche Kommunikation“, das Watzlawick 1978 veröffentlichte, so problematisch ist sein darin formuliertes ‚metakommunikatives Axiom’.

Watzlawick begründet die „Unmöglichkeit, nicht zu kommunizieren“ so: „Es muß ferner daran erinnert werden, dass das ‚Material’ jeglicher Kommunikation keineswegs nur Worte sind, sondern auch alle paralinguistischen Phänomene (wie z.B. Tonfall, Schnelligkeit oder Langsamkeit der Sprache, Pausen, Lachen und Seufzen), Körperhaltung, Ausdrucksbewegungen (Körpersprache) usw. innerhalb eines bestimmten Kontextes umfasst – kurz, Verhalten jeder Art. Verhalten hat vor allem eine Eigenschaft, die so grundlegend ist, dass sie oft übersehen
wird: Verhalten hat kein Gegenteil, oder um dieselbe Tatsache noch simpler auszudrücken: Man kann sich nicht nicht verhalten. Wenn man also akzeptiert, dass alles Verhalten in einer zwischenpersönlichen Situation Mitteilungscharakter hat, d.h. Kommunikation ist, so folgt daraus, dass man, wie immer man es auch versuchen mag, nicht nicht kommunizieren kann. Handeln oder Nichthandeln, Worte oder Schweigen haben alle Mitteilungscharakter. Sie beeinflussen andere, und diese können ihrerseits nicht nicht auf diese Kommunikation reagieren und
kommunizieren damit selbst. Es muß betont werden, daß Nichtbeachtung oder Schweigen seitens des anderen dem eben Gesagten nicht widerspricht.“

Dem Österreicher in Kalifornien gelang hier ein semantisches Kunststück: Er entdeckte einen Begriff ohne Gegenteil: Verhalten. Und siehe da, der heckte gleich einen nächsten: Kommunikation. Ein wenig erinnert das an Peter Schlemihl, den Mann ohne Schatten. Doch während Adelbert von Chamissos Märchen poetisch ist, sind Watzlawicks Termini sinnlos. Die Nützlichkeit eines Begriffs liegt in seiner Begrenzung. Nicht von ungefähr entstammt das Wort Definition dem lateinischen Verb definire, abgrenzen. Und die schärfste, für die  unktionstüchtigkeit eines Wortes unabdingbare Grenze ist sein Gegenteil. „Sein und Nichtsein entspringen einander“, wusste Lao Tse schon dreihundert Jahre vor Christus. Für Watzlawick muss, wer sich nicht verhält, tot sein. Wie ist es, wenn man schläft? Ohne Frage ist man lebendig. Aber verhält man sich auch?

Nun könnte man meinen, das seien nur sprachlogische Spitzfindigkeiten. Wichtig sei doch, dass Watzlawick mit seinem Aperçu auf konkrete zwischenpersönliche Situationen abstelle und den darin stets wirkenden „paralinguistischen Phänomenen“ endlich die nötige Aufmerksamkeit verschafft habe. Zweifellos war die Beleuchtung der nonverbalen Kommunikation verdienstvoll, und vermutlich ist sie auch der Hauptgrund für die fabelhafte Karriere dieses Satzes. Seine Absichten waren ganz bestimmt die besten. Gemeint oder jedenfalls verstanden
wurde das „pragmatische Axiom“, wie Watzlawick es auch nannte, wohl zumeist als Aufforderung, sich verständlich zu machen: ‚Ob du willst oder nicht, du kommunizierst. Besser also, du gibst dir Mühe und kommunizierst gleich ordentlich.’

Heraus gekommen ist nach meinem Eindruck eher das Gegenteil. Watzlawick selbst gibt dafür ein schönes Beispiel: „Der Mann im überfüllten Wartesaal, de vor sich auf den Boden starrt oder mit geschlossenen Augen dasitzt, teilt den anderen mit, dass er weder sprechen noch angesprochen werden will, und gewöhnlich reagieren seine Nachbarn richtig darauf, indem sie ihn in Ruhe lassen.“ Gewöhnlich – ein verräterisches Wort in diesem Kontext. Woher weiß der Autor, dass der Mann im Wartesaal nicht angesprochen werden will? Vielleicht hat er ja
einen Kummer, der ihn so niederdrückt, und er wäre geradezu erleichtert, wenn ihn jemand anspräche. Es ist kühn, aus der geschilderten nonverbalen Kommunikation unseres Mannes eine Mitteilung abzulesen, aber genau dieser Kühnheit hat Watzlawick den Weg bereitet. Wir alle haben seither unzählige Unterweisungen in der Deutung nonverbaler Signale erfahren und glauben zum Beispiel zu wissen, dass, wer vor uns mit gekreuzten Armen sitzt, Ablehnung ausstrahlt (ich kreuze die Arme manchmal, um meine kalten Hände unter den Achseln zu wärmen).

Gewiss, die Fähigkeit, solche Signale zu deuten, kann nützlich sein, nämlich dann, wenn diese mit wirklichen, und das heißt, sprachlichen Mitteilungen einhergehen. Dann kann man womöglich empfinden, dass zwischen den Mitteilungen einer Person und ihrer Körpersprache ein Widerspruch besteht, und das kann helfen, die Kommunikation zu verbessern – wenn es denn besprechbar ist. Ohne Sprache dagegen sind solche Signale für den Empfänger nur Rauschen.

Keine Antwort ist auch eine Antwort, wusste der Volksmund schon immer, und ich hege den Verdacht, dass Watzlawick mit seinem Axiom nichts anderes formuliert hat als eine Fassung für Intellektuelle. Es ist aber wichtig, sich klarzumachen, dass man die Antwort, die angeblich in „keiner Antwort“ steckt, nicht kennen kann. Das hindert freilich nicht weitere Kommunikation und weiteres Verhalten. Gregory Bateson gab das schöne Beispiel, dass ein nicht geschriebener Brief eine Beziehungskrise auslösen kann. Aber gerade deshalb müssen wir akzeptieren, dass Menschen auch nicht kommunizieren können und dass man sie, wenn man wissen will, wie sie zu einer bestimmten Sache stehen, über die sie nicht sprechen, fragen muss. Wenn sie aber nicht antworten, bleibt jede Interpretation Spekulation.

Was meint man, wenn man sagt: „Ich plädiere auf Nichtbefassung“, anderes als: „Dazu möchte ich mich nicht verhalten?“ Warum soll das nicht gehen? Es erschließt, im Gegenteil, über Abgrenzung eine wichtige menschliche Freiheit. Und warum gilt in der New Yorker U-Bahn das ungeschriebene Gesetz, sein Gegenüber nicht anzuschauen, wenn nicht zu diesem Zweck: durch striktes Nicht-Kommunizieren „in einer zwischen-persönlichen Situation“ der Gefahr einer aggressiv eskalierenden „Kommunikation“ (worin ja, nach Watzlawick, auch ein
solches Verhalten bestünde) keine Nahrung zu geben.

Das ist das Gute am Ende des entgrenzten Verhaltens: Wir stehen nicht im kommunikativen Dauerstress. Keine Antwort bleibt keine Antwort, vielsagendes Schweigen ist nichtssagendes Schweigen. Und das Gegenteil von gut ist gut gemeint.

Juli 2010

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