17.12.25
Die Mandelkern-Kolumne
Ja die Naturgesetze
Genesis nach Stephen Hawking: geht so.
Keine Frage: Naturgesetze sind eine feine Sache. Nicht nur lassen sie sich entschlüsseln – dank fabelhafter Wissenschaft. Sie verschaffen uns auch, wenn Wissenschaft zu Technik wird, einen unvorstellbaren, vermeintlich nie endenden Reichtum. Dass sie uns (noch?) nicht helfen, eine Ökonomie zu entwickeln, die Wohlstand ermöglicht, ohne den Planeten auszuplündern und zu zerstören, steht auf einem anderen Blatt. Noch ist kein Mittel gegen unsere atavistische Natur als Eroberer und Plünderer (siehe dazu „Das Ende der Evolution“ von Matthias Glaubrecht) gefunden. Aber darum soll es an dieser Stelle nicht gehen. Vielmehr um die Frage, die jeden Menschen beschäftigt, kaum, dass er zu denken angefangen hat: Warum, wie Leibniz es formulierte, nicht nichts ist. Denn da stoßen auch die fähigsten Naturwissenschaftler immer noch an Grenzen. Nicht nur weil der mutmaßliche Anfang von allem, den die meisten Physiker Big Bang oder Urknall nennen, unvorstellbar lange her ist, ungefähr 13,8 Milliarden Jahre, sondern auch, weil wir hier ein noch viel grundsätzlicheres Problem haben. Ein logisches Dilemma, und das ist lästig. Denn auch wenn die Reichweite von Logik immer wieder Gegenstand spitzfindiger, gerne systemtheoretischer Betrachtungen ist, geht in den Naturwissenschaften ohne sie nicht wirklich was. Und damit auch nicht ohne diese beiden Axiome: Alles hat einen Anfang, und alles hat einen Grund. Aber welchen Anfang hat der Grund, und welchen Grund der Anfang? Zwei der wichtigsten Prinzipien unseres Denkens widersprechen sich, und zwar unheilbar. Wer das auflösen will, muss zu Paradoxien Zuflucht nehmen. Die Idee des Schöpfers ist so eine. Den „unbewegten Beweger“ nannte ihn Aristoteles, für mich immer noch unerreicht. Und dann gibt es Wissenschaftler, die es besser wissen, wie der Evolutionsbiologe Richard Dawkins, der jüngst wieder, anlässlich der Vorstellung seines neuen Buches, mit großer Ruhe und Selbstgewissheit verkündet hat, dass es keinen Gott gibt. Ernst zu nehmende Argumente hat er, soweit ich sehen kann, nicht. Er ist kein Physiker. Gut, er stützt sich auf Naturgesetze, nämlich die Prinzipien der Evolution auf unserem Planeten. Aber da reden wir über ungefähr viereinhalb von den 13,8 Milliarden Jahren des Universums. Und ihre Beschreibung durch Darwin und seine Nachfolger ist nach allem, was wir derzeit wissen, noch längst nicht der Weisheit letzter Schluss. Also dann doch lieber Physiker. Wie wäre es mit Stephen Hawking? Vor 7 Jahren gestorben, gilt er immer noch als einer der klügsten und fähigsten Köpfe seiner Generation. Hawking war sich genauso sicher wie Dawkins. Wenn es einen Gott gäbe, meinte er, sei der auch den Naturgesetzen unterworfen – und wozu brauche man ihn dann? Ja fein, und wie löst dann unser Ausnahmedenker das logische Dilemma? Das Universum, glaubt er, entstand aus dem Nichts. In seinen posthum erschienenen, sehr gut lesbaren „Brief answers to the big questions“ erklärt er das so: Die Gesetze der Physik verlangen, dass es genauso viel negative wie positive Energie gibt. Die negative befindet sich im Universum, wurde nur bisher noch nicht gefunden. Vor dem Urknall summierten sich beide zu Null, dem großen Nichts. Aber dann. Ja was dann? Dann macht es plötzlich bumm. Das sollen wir uns vorstellen wie einen Mann, der auf einer planen Fläche einen Hügel aufschüttet. Der Hügel sei unser Universum. Nur, wo kommt die Erde für den Hügel her? Aus einem Loch natürlich, das der Mann gräbt – und richtig – das Loch ist die negative Energie. So schön die Analogie ist, sie hat einen Haken: Wer ist der Gärtner? Wer hat da rumgegraben? Hawking, wie es scheint, focht dieser naheliegende Einwand nicht an. Begeistert kommentierte er seine Theorie: „So what does this mean in our quest to find out if there is a God? It means that if the universe adds up to nothing, then you don’t need a god to create it. The universe is the ultimate free lunch.” Upps. Da hat sich also das Universum an seinen Schnürsenkeln aus dem Sumpf gezogen oder wie Münchhausen am eigenen Schopf. Wenn das Milton Friedman noch gehört hätte. “There is no such thing as a free lunch“ hatte er dekretiert, und das hatte für den Ökonomen gewiss den Charakter eines Naturgesetzes. Und die setzt Hawking ja für seine Erklärung des Anfangs außer Kraft. Zumindest suspendiert er das Kausalprinzip, den Satz vom Grund. Damit erklärt er uns die Entstehung von Allem buchstäblich mit: nichts. Dennoch, so beteuert er, sei er für dieses eine Leben und die Chance „to appreciate the grand design of the universe“ extrem dankbar. Fragt sich nur wem. Die Physikerin Sabine Hossenfelder („Mehr als nur Atome“) ist da entschieden skeptischer. Sie hält für möglich, dass wir die Frage des Anfangs nie werden entschlüsseln können. Konsequent zählt sie auch die Theorie des Urknalls zu den Schöpfungsmythen. Womit wir wieder bei Kant wären: Man kann die Existenz Gottes weder beweisen, noch widerlegen. Gleiches gilt, wenn man, wie Hawking, versucht, die Naturgesetze an seine Stelle zu setzen. Da fällt mir der alte Witz ein über ein anderes „großes Weltgenie“ (Gottfried Benn): Gott ist tot, verkündete Nietzsche. Gott schmunzelt: Nietzsche ist tot.
Dezember 2025
PublikationenSie möchten mehr über das Projekt erfahren? Schreiben Sie mir oder rufen Sie mich an!
